Bildquelle: Aachener Zeitung/Medienhaus Aachen

1972–1976: Der Mietstreik und die Anstalt des „öffentlichen Unrechts“

Da die Aufgaben der Studentenwerke in steigendem Maße durch öffentliche Zuschüsse finanziert werden, verlieren die Studentenwerke mehr und mehr ihren Charakter als studentische Selbsthilfeeinrichtungen. Im Zuge der Einführung des BAföG, dessen Administration ebenfalls den Studentenwerken übertragen wird, werden die Vereine Anfang der 1970er-Jahre nahezu flächendeckend in Anstalten des öffentlichen Rechts überführt.

Diese Überführung sollte nicht reibungslos stattfinden. Denn die Mitglieder des aufzulösenden „Studentenwerk Aachen e. V.“ sind zum größten Teil die Studenten selbst. Sie sind seit jeher Miteigentümer der Einrichtungen, sprich Wohnheime und Mensen, und besitzen im Vorstand eine Sperrminorität. Schon vor der Umwandlung im Jahr 1974 kommt es zum Eklat: Als 1972 von einem provisorischen Verwaltungsrat drastische Mieterhöhungen in den Wohnheimen beschlossen werden, kommt es zum legendären Mietstreik.

Schon Ende der 60er-Jahre arbeiteten die Studentenwerke immer mehr im Auftrag der Landesregierung. Dies hatte unter anderem drastische Mieterhöhungen in den Wohnheimen zur Folge, weil die Studentenwerke dazu angehalten wurden, die Kosten vollends über die Bewohnerschaft abzudecken. Die Bewohner sind jedoch der Meinung: In Wohnheimen des Landes ist eine kostendeckende Miete abzulehnen, solange die staatliche Ausbildungsförderung (BAföG) nicht kostendeckend sei. Ab Juni 1972 verweigern sie schließlich die Zahlung der Mieterhöhung.

Die von der Landesregierung 1974 gesetzlich verankerte Umwandlung des Studentenwerks in eine Anstalt des öffentlichen Rechts (AöR) bedingt die Auflösung des bisherigen Studentenwerk Aachen e. V. Die Studenten verhindern die Übertragung der Liegenschaften – Wohnheime und Mensen – an die AöR und somit die Auflösung des Vereins.

Zwei Studentenwerke in Aachen
Der Verein besteht neben der Anstalt des öffentlichen Rechts weiter, ist aber ohne Zuschüsse des Landes und das Personal der AöR nicht in der Lage, seine Einrichtungen weiterzubetreiben. Trotz eines buchungsmäßigen Vermögens von zwölf Millionen D-Mark ist er illiquid. Am 11. März 1976 melden die studentischen Vorstandsmitglieder den Konkurs an.

Durch den Mietstreik, der zwischen den Studenten und der Landesregierung ausgetragen wird und der in Deutschland bis heute als einzigartig gilt, entstehen Verluste in Millionenhöhe. Die Mietstreiker haben zum Schluss das Nachsehen: Nach einem Gerichtsbeschluss aus dem Jahr 1976 müssen sie ihre Mietschulden bis auf den letzten Pfennig zurückzahlen.

Noch mehr Proteste: Besetzung des Studentenwerks 1976
Die Studierenden sind in den 1970er öfter auf Konfrontationskurs. Einen unverhofften Besuch statten dem Studentenwerk rund 100 TH-Studenten im Jahr 1976 ab. Mit Matratzen bewaffnet zieht die „Hundertschaft“ gegen 16 Uhr im Verwaltungstrakt des Studentenwerks an der Turmstraße 3 (Mensagebäude) und besetzt die Geschäftsräume. Ihre Aktion wollen die Kommilitonen nach Angaben eines Sprechers des linken AStA unter anderem als Protest gegen eine angebliche Verschleppung bei der Auszahlung der beantragten Mittel aus dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) verstanden wissen. Während ihres Aufmarsches fordern sie das Amt für Ausbildungsförderung  – im Studentenwerk untergebracht – auf, den Studenten umgehend den mehrfach geforderten Abschlag zu zahlen, denn mit der vollständigen Erstattung des den Antragstellern zustehenden BAföG-Satzes sei erst im Januar zu rechnen.

Die überraschende Wende im Tauziehen um die BAföG-Zahlungen zeichnet sich in der darauffolgenden Woche ab. Mit sofortiger Wirkung stellt das Amt für Ausbildungsförderung seine Arbeit ein mit der Begründung, „dass sich Angestellte des BAföG-Amts in ihrer Arbeit durch die Besetzer beeinflusst fühlten“.

Frontbild: ©Medienhaus Aachen/Hein Call